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The Whispering Road: Spielbericht.

In einer Onlinerunde haben wir kürzlich zu fünft Brent P. Newhalls The Whispering Road gespielt. Ein SL-loses Rollenspiel, das sich als von den Studio Ghibli Filmen inspiriert bewirbt. Whispering Road wollte ich schon lange mal spielen, weil es sowohl vom Design als auch vom Inhalt her auf meiner Linie liegt. Wie war es also?


Um Zeitproblemen vorzubeugen, habe ich mich als Facilitator entschieden, das Setup, in dem gemeinsam der (für den Spielverlauf letztlich irrelevante) Heimatort der Hauptfiguren erschaffen wird zu überspringen und das Festlegen sog. Parameter durch CATS (https://200wordrpg.github.io/2016/supplement/2016/04/12/CATS.html) zu ersetzen. Vor allem aber habe ich Hauptfiguren vorgefertigt, d.h. ihre Archetypen - Ordinary Hero, Special One, Mentor, Rascal - festgelegt und ihnen Traits zugewiesen. Den wichtigen Need, etwas das die Figur will, dem aber eine andere Figur im Weg steht, habe ich allerdings vorerst freigelassen.

Die Traits, die ich schlicht ausgewürfelt habe, sind ein erster Pluspunkt. Die Figuren haben sie für mich sofort greifbar gemacht. Jede einzelne passte in der ihr zufällig zugewisenen Trait-Kombination zu den fünf Prinzipien von The Whispering Road:

1. Kein Fokus auf Kampf.
2. Die Hauptfiguren sind weitestgehend ganz gewöhnliche Menschen, die einfach nur das Richtige tun wollen.
3. Ein Fokus auf Gemeinschaft.
4. Charakterentwicklung statt Weltrettung.
5. Ein freundlicher und sanfter Ton.

Ich hatte also nicht nur sofort Figuren, bei denen ich mir sicher sein konnte, das sie passen würden, sondern die ich auch sofort hätte spielen wollen. Wer Eigenschaften oder Fähigkeiten sucht, die zu einem entsprechend heiteren Setting passen, wird die Traits sicher auch außerhalb von The Whispering Road nutzen können.

Ins Spiel gesprungen: Während die Traits einfach zu benutzen waren, erwiesen sich die Needs als echtes Problem. Grundsätzlich scheint die Idee dahinter gut: Jeder Konflikt in The Whispering Road muss mindestens einen Need ansprechen und jeder der fünf Akte des Spiels endet genau dann, wenn alle Needs einmal in einen Konflikt gezogen worden sind. Tian bekommt also zum Beispiel in einem Konflikt die Gelegenheit, zu "beweisen, dass ich auf mich selbst aufpassen kann und groß bin" (sein Need), während das eigentlich seiner älteren Schwester Nia zufiele. Wer auch immer die Szene vorlegt, in The Whispering Road dürfen das immer alle, hat also entweder ganz natürlich eine passende Situation entwickelt oder gezielt auf einen passenden Konflikt zugesteuert. Traits werden dann in Konflikten eingesetzt, um entweder dem eigenen Need oder Needs anderer Figuren nachzukommen. Die Trait-Würfel sagen am Ende nur, wo das passiert oder nicht, geben aber nicht zwingend Auskunft darüber wie der Konflikt ausgeht. Das große Problem war aber: Mit Ausnahme von Tians Need waren die der anderen Figuren offenbar nicht so gut geeignet für Konflikte in der wundersamen Welt, in die die Figuren geraten sind und ließen sich nicht so organisch einpassen. Nia wollte ein Wrack unweit der Küste erforschen, Kai weiter seinen Lieblingsdelfin besuchen, Kenn alles über Magie lernen und Timmy ein Detektiv werden. Ich denke, wir haben zu spezifisch formuliert, leider sind die Beispiele im Buch diesebzüglich aber auch nicht eindeutig.


Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse:
Erster Akt; durch einen Leuchtturm gelangen die jugendlichen Hauptfiguren in eine Parallelwelt, ihr Dorf wird von Meervolk bewohnt, es stellt sich heraus, dass Special One Kai der Sohn des Meerkönigs ist.
Zweiter Akt; der König ist von einer Reise zu seinem Sommerpalast krank zurückgekehrt. Es wird von einem großen, stählernen Schiff berichtet, das seinen Schatten auf die Gegend geworfen hat. Der Hofmagus und die Prinzessin haben etwas mit der Sache zu tun wie die Figuren herausfinden.
Dritter Akt; Die Figuren werden beauftragt, zum Sommerpalast zu reisen, angeblich damit Kai sich als Erbe seines königlichen Vaters beweisen kann, in Wahrheit damit sie nicht zurückkehren. Dort treffen sie auf Aiko, den Delfin und ein Schiff, dass große Mengen an Egeln ins Wasser pumpt.
Vierter Akt; Einige Figuren werden an Bord des Schiffes gefangen genommen.
Fünfter Akt; Es gelingt den Figuren, das Schiff untauglich zu machen und sie kehren an den Königshof zurück.

Der andere Kritikpunkt, der nach der Runde geäußert wurde, war große Unklarheit darüber, wer eigentlich was sagen und festlegen darf. Das ist insofern kein Wunder als The Whispering Road dabei deutlich entspannter ist als die meisten mir bekannten SL-losen Rollenspiele. Es gibt keine Ritualsätze wie in Polaris oder Archipelago, keine darzustellenden Weltelemente wie in Dream Askew, keine feste Szenenfolge wie in Fiasco, keine minutiösen Konfliktregeln wie in Remember Tomorrow. Alle können und dürfen immer alles. Was es gibt - und das finde ich nicht nur mechanisch, sondern auch in der visuellen Präsentation im Buch sehr gelungen - sind Navigator und Driver. Die Navigator-Rolle hat ein Auge darauf, dass in jedem Konflikt mindestens eine dem jeweiligen Akt eigene Frage zum Setting bzw. zur Welt beantwortet wird, stellt also in Konflikten mit dem Äußeren (Welt) die Balance zum Inneren (Needs) her. Die Driver-Rolle wiederum achtet darauf, dass der Spielfluß erhalten bleibt und schlägt Konfliktszenen vor, wenn die Gruppe gerade keine Ideen hat. Besondere Rechte oder Autorität sind damit nicht verbunden, sondern sie helfen - thematisch passend - der Gruppe dabei, The Whispering Road so gut wie möglich zu spielen. Hier würde ich also sagen: It's a feature, not a bug.


Meinem Empfinden nach war The Whispering Road in unserer Runde das Rollenspieläquivalent zu Mary and the Witch's Flower, dem Erstling der Ghibli-Epigonen Studio Ponoc: Eine einfache (weniger euphemistisch: flache) Kindererzählung in hübschen Farben. Die inhaltliche Tiefe eines Miyazaki-Films zu erreichen, wird gar nicht erst versucht, interessant ist aber, dass The Whispering Road nun durchaus den Anspruch formuliert, die Möglichkeit zur Charakterentwicklung zu bieten, dem inneren Konflikt gar den Vorrang gibt. Das Spiel stellt an die Figuren die Frage: Wirst du deine Fähigkeiten eher dazu einsetzen, deinen eigenen Bedürfnissen nachzukommen oder um den Wünschen anderer zur Erfüllung zu verhelfen? Für Ersteres gibt es schlechtes, für letzteres gutes Karma (ich würde mir wünschen, es wäre ein anderer Begriff gewählt worden). Gutes Karma verhilft am Ende zur sicheren Rückehr nach Hause, schlechtes lässt die Figur in der neuen Welt zurückbleiben. Eine Charakterentwicklung ist also nicht zwingend vorgegeben und auch eine Figur, die bis zum Schluss bei sich bleibt, kann interessant sein. Um sagen zu können, ob das im Spiel tatsächlich auch so durch dringt, würde ich The Whispering Road gerne nochmal mit anders (besser?) gewählten Needs spielen.

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